Mittwoch, 16. März 2011

The seeing I...

Als ich neulich morgens Zeitung las, sprang mir eine Anzeige ins Auge, die eine neue SZ-Bücherreihe bewarb: die "Bibliothek Graphic Novels". Zu meiner Freude ist unter den ausgewählten Werken auch Marjane Satrapis Persepolis, eine Autobiografie in Comicform, die wirklich sehr beeindruckend ist.

Ich bin nun nicht gerade ein Experte, was Graphic Novels oder auch Comics allgemein angeht, über die gelegentliche Lektüre der Garfield- oder Nick Knatterton-Hefte meines Bruders ging mein Horizont nie hinaus. Zu Persepolis kam ich per Zufall, über den Umweg meiner Masterarbeit an der Uni. 

Ich beschäftigte mich dabei mit postmodernen Autobiografien, hatte schon ein Textbeispiel (Dave Eggers' A Heartbreaking Work of Staggering Genius, für alle, die es unterhaltsam finden, von einem Buch gleichermaßen fasziniert und tierisch genervt zu sein) und war auf der Suche nach einem zweiten zum Vergleich.

Irgendjemand wies mich darauf hin, dass im Kino gerade die Verfilmung eines Comics liefe, in dem eine Exil-Iranerin ihre Kindheit und Jugend beschreibt. Ich sah mir den Film an, war begeistert, besorgte mir alle Bände der Buchvorlage und war nach der Lektüre erst recht begeistert. 

Marjane Satrapi, die seit vielen Jahren in Frankreich lebt, erzählt von ihrer Kindheit im Iran, die zunächst geprägt ist von Freiheit und liberaler Erziehung durch die Eltern; durch die Kulturrevolution 1980 ist aber auf einmal nichts mehr wie zuvor, das Leben der 11-jährigen Marjane verändert sich radikal, ist von Angst, Zwängen, Unfreiheit und dem verhassten Kopftuch geprägt. Ihre Jugendjahre verbringt Marjane in Österreich, von den Eltern um ihrer Sicherheit willen allein ins Exil geschickt; sie endet in erbärmlichem Zustand auf der Straße und kehrt mit 18 in den Iran zurück, wo sie versucht, sich als Fremde im eigenen Land ein neues Leben aufzubauen.

Satrapi arbeitet reduziert, ihre Bilder sind schwarz-weiß,  sehr cartoonisiert und erreichen so einen hohen Grad an Identifikation beim Leser. Man wird von dieser Geschichte angezogen, wird in sie hineingezogen - es ist die faszinierende Lebensgeschichte einer jungen Frau zwischen den Kulturen, die bewegte Geschichte des Iran in den 80er- und 90er-Jahren und eine spannende Art der autobiografischen Selbstdarstellung.

Wer Lust aufs Lesen hat und sich  an ein wenig Schulfranzösisch erinnert, sollte sich an die Originalausgabe von Persepolis wagen; die Textmenge ist überschaubar und das Sprachniveau nicht zu herausfordernd.

Und weil ich schon davon spreche, Cash von Reinhard Kleist sieht auch ganz interessant aus...


Freitag, 16. Juli 2010

Alt-Wort-Recycling...

Manchmal begegnen einem Wörter, die man einfach liebhaben muss, die so schön altmodisch und antiquiert klingen, ein bisschen schrullig und gleichzeitig liebenswert-nostalgisch, dass man sich wünscht, man hätte in Zeiten gelebt, wo man diese Wörter noch regelmäßig sagen konnte, ohne spöttische und/oder mitleidige Blicke der Mitmenschen zu ernten.

Um all diese armen, vergessenen Wörter wieder aus der Versenkung zu holen und ihnen einen neuen Platz in unserer Mitte zu verschaffen, gibt es jetzt ein Kunst-Projekt namens reWÖRT. Hier werden Schmuckstücke wie 'Hagestolz' oder 'saumselig' gesammelt und auf T-Shirts und Accessoires wie Regenschirme oder Taschen gedruckt, die man kaufen und so den Wortschatz anderen zugänglich machen kann. 

Jeder kann Vorschläge machen, welche Wörter es verdienen, in das Projekt aufgenommen zu werden, das Ganze wird auf der Webseite aufgelistet, und die ausgewählten Wörter werden mit unterhaltsamen Erklärungen versehen. Gleichzeitig dient reWÖRT auch noch einem guten Zweck: Ein Teil der Einnahmen aus dem Verkauf geht an weitere Projekte aus dem Kulturbereich, aktuell z.B. das Projekt WO ICH WOHNE in München.

Ach ja, mein persönliches Lieblingswort: Pardauz! Demnächst auf meinem T-Shirt.
 

Sonntag, 20. Juni 2010

Murder, Mystery & Oscar ...

Eines Tages, beim Stöbern in der englischen Buchhandlung, hatte ich eine dieser glücklichen Zufallsbegegnungen, die einem hin und wieder passieren. Man hat keinen konkreten Titel, kein festes Genre im Visier, sondern schlendert ziellos an den Regalen mit den vielen Buchrücken vorbei, durch die Tischreihen mit den hübsch gestapelten Neuerscheinungen, und man hofft, dass einen etwas davon anspringt, dass man SIE findet - die perfekte Lektüre, von der man bis dahin noch gar nicht wusste, dass sie genau in diesem Moment, in dieser Stimmung, in dieser Situation wie für einen gemacht ist.

An diesem besagten Tag und in der besagten Buchhandlung fiel mir in der Krimi-Abteilung ein Buch namens Oscar Wilde and the Candlelight Murders in die Hände - vor allem deshalb, weil das Cover mit seiner knalligen Farbkomposition aus Gelb, Grün, Orange und Pink ein ziemlicher Exot unter seinen artverwandten Nachbarn war, ein 'Hingucker' eben.

Ein Krimi mit Oscar Wilde, dem berühmt-berüchtigten Poeten und Dandy, in der Rolle des Detektivs, der im London des Fin de Siècle einen Mordfall löst, dazu Sherlock Holmes-Erfinder Arthur Conan Doyle als sein Sidekick - klingt so absurd, dass es glatt schon wieder gut sein könnte, also nahm ich das Buch mit.


Was soll ich sagen? Ich hatte mich nicht getäuscht, das Buch war wirklich verdammt gut! Nicht unbedingt der Teil mit dem Lösen von Mordfällen (nicht schlecht, aber auch kein Meisterwerk von einem Plot), sondern die Charaktere: Gyles Brandreth beherrscht es exzellent, die Verhaltensweisen und die Sprache Wildes so nachzubilden, dass man glaubt, Oscar persönlich hätte die Feder geführt - derselbe Witz, dieselben geistreichen Bemerkungen und fein-ironischen Bonmots. Im wahrsten Sinne ein Mords-Vergnügen für jeden, der auf Oscar Wilde und das viktorianische London steht.

Die Oscar Wilde Murder Mystery-Reihe umfasst mittlerweile drei Bände; der vierte, Oscar Wilde and the Nest of Vipers, erscheint diesen Herbst. Leser, die des Englischen nicht mächtig genug sind, haben allerdings Pech gehabt, es gibt bis dato keine deutsche Übersetzung.

Dienstag, 8. Juni 2010

Dichter, Denker, Dadaisten...

...kann noch in einer Ausstellung bewundern, wer sich bis zum 18. Juli in die südostbayerische Wallfahrtsstadt Altötting verläuft.


Der Kunstsammler Helmut Klewan zeigt etwa 300 Werke aus seiner noch viel umfangreicheren Sammlung an Schriftstellerporträts. Die unglaubliche Anzahl verrät es schon: Man muss sich für diese Ausstellung Zeit nehmen und darf sich von der Flut der Bilder nicht verschrecken lassen, die einen geradezu übermannt, wenn man die Galerie betritt. 

Der Schwerpunkt liegt auf deutschen und französischen Persönlichkeiten, es finden sich aber natürlich auch Briten und Amerikaner (mein persönliches Lieblingsbild, gleich links neben dem Treppenaufgang: der betagte, rauschebärtige Walt Whitman) - sogar 14 Frauen haben es in die 'Hall of Fame' geschafft. Spannend für jeden, der sich für die Gesichter hinter der Literatur von Weltrang interessiert.

Freitag, 28. Mai 2010

Austen im Auto...

Zu Beginn gleich ein Tipp für alle Autofahrer, die es schon vor langer Zeit leid geworden sind, immer nur denselben Einheitsbrei im Radio zu hören, und seitdem - beständig auf der Suche nach alternativer Unterhaltung - die Hörbuch-abteilung durchkämmen: Jane Austens Sense and Sensibility, der gute alte Klassiker!

Fast jeder ist ihm irgendwann im Laufe seines Lebens schon begegnet, manche zu Schulzeiten, andere erst im Erwachsenenalter, und es gibt nur zwei Reaktionen, die man diesem Roman entgegenbringen kann: Man liebt ihn, oder man kann ihn nicht ausstehen (dies gilt im Übrigen für Austens gesamtes Werk).

Ich bekenne mich freimütig zur ersten Gruppe, und außerdem bin ich der Überzeugung, dass die Ansicht der zweiten Gruppe lediglich auf einem Missverständnis beruht, das David Lodge in
Changing Places so beschreibt:

"Literature was never about what it appeared to be about. [...] Even the dumbest critic understood that
Hamlet wasn't about how the guy could kill his uncle, or the Ancient Mariner about cruelty to animals, but it was surprising how many people thought that Jane Austen's novels were about finding Mr Right."

Und für all die Austen-Liebhaber gibt es seit März eine wunderbare Hörbuch-Sonderedition der Geschichte um Elinor und Marianne - eine ungekürzte (!) Lesung des Romans, gesprochen von der Schauspielerin Eva Mattes, die eine so ohrenschmeichlerische Stimme besitzt und den verschiedenen Figuren so viel Individualität verleiht, dass ich manchmal extra noch eine Runde um den Block gefahren bin, nur um ein paar weitere Minuten zuhören zu können!